"She said": Ganz normale Frauen (2025)

Maria Schrader hat die Recherche zweier Journalistinnen zum Fall Harvey Weinstein verfilmt. Dem Täter gibt sie darin keinen Raum, wohl aber den weiblichen Biografien.

Eine Rezension von Judith Liere

"She said": Ganz normale Frauen (1)

Ihn sieht man nur in einer Szene des Films. Ganz am Ende, von hinten. Ein dicker, älterer Mann in breiten Turnschuhen, er erinnert andiese immer etwas zu lauten US-amerikanischen Touristen, die man in Reisegruppenin Costa Rica oder Mexiko trifft. Dabei handelt es sich bei ihm um einen dermächtigsten Männer der Filmindustrie, um einen Mann, der andere Menschen inAngst versetzen und mundtot machen kann und sich scheinbar skrupellos nimmt,was er will, vor allem Frauen. Noch. Denn kurze Zeit nach dieser Szene wird er,Harvey Weinstein, fallen. Und dabei eine Bewegung auslösen, die unter demSchlagwort "Me too" in die Geschichte eingehen wird.

Der Film She said erzählt, zum Glück, nicht die Geschichtevon Harvey Weinstein, sondern die der monatelangen journalistischenRecherche, die ihn 2017 zu Fall brachte. Es ist zu großen Teilen einklassischer Journalistenfilm, der sich einreiht zwischen Werke wie DieUnbestechlichen oder Spotlight: Es wird sehr viel telefoniert, neuim Handyzeitalter ist, dass die Informanten immer zu Uhrzeiten anrufen, zudenen es gerade am wenigsten passt, und die Journalisten sich hektisch einruhiges Eckchen suchen müssen; es werden vertrauliche Dokumente diskret über Restauranttischegeschoben, es wird an Haustüren geklingelt, die gleich wieder vor der Nasezugeschlagen werden, und, ganz entscheidend für jede journalistischeInvestigativgeschichte, es wird auf den alles entscheidenden Moment gebangt, indem sich Informanten durchringen, on the record zu gehen, also mit Namenim Artikel aufzutauchen, und der Chefredakteur des Mediums entscheidet: Jetzt stehtdie Story, nun können wir sie veröffentlichen.

Doch She said fügt dem Genre auch neue Nuancen hinzu. Im Mittelpunkt des Films stehen Frauen und das spielt für dieFilmemacherinnen eine Rolle. Sie zeigen auch das Privatleben der beidenInvestigativjournalistinnen, ihre Zerrissenheit zwischen Familie und einem Job,der keine geregelten Arbeitszeiten kennt, und thematisieren nicht zuletzt, dasssie eine andere Empathie gegenüber dem Thema sexuelle Übergriffe haben, weil sogut wie jede Frau in ihrem Leben solche Erfahrungen macht.

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Der Film basiert aufdem gleichnamigen Buch von Jodi Kantor und Megan Twohey, den beidenJournalistinnen der New York Times, die den Fall recherchierten. DasDrehbuch schrieb die Oscar-Preisträgerin Rebecca Lenkiewicz, Regie führte dieDeutsche Maria Schrader, die bis zu ihrer Netflix-Serie Unorthodoxhauptsächlich als Schauspielerin bekannt war. Schrader war es wichtig, dieJournalistinnen einmal nicht als einsame Wölfe darzustellen, sondernals "normale Menschen".

Und so telefoniert die schwangere Megan Twohey (gespielt vonCarey Mulligan) natürlich auch beim Gynäkologen, bis der Arzt kommt, Jodi Kantor (Zoe Kazan) schreibt ihrer Tochter hektisch das Netflix-Passwort aufeinen Zettel, damit sie Ruhe hat, als die Schauspielerin Rose McGowan, eine derwichtigsten Anklägerinnen im Weinstein-Fall, anruft. Die Zuschauer erfahren,dass Twohey nach der Geburt an einer postpartalen Depression leidet und erstwieder aufblüht, als sie wieder arbeiten kann, und sie sehen, wie Kantor währendeiner Recherchereise abends allein im Hotelzimmer nach dem Videocall mit ihrerTochter heult. Wieauch in der Serie Inventing Anna über die Recherche der New-York-Magazine-JournalistinJessica Pressler zur Hochstaplerin Anna Sorokin wird hier ein Konflikt zwischenMutterschaft und Berufstätigkeit thematisiert. Was man einerseits alsrealistische Darstellung des Alltags vieler berufstätiger Frauen sehen kann, hinterlässtauf der anderen Seite durchaus ein schales Gefühl beim Zusehen, weil es bisher hauptsächlichFrauen sind, bei denen diese Momente der Schwäche und der Überforderung gezeigtwerden, während man erfolgreiche Karrieremänner in Filmen und Serien weiterhineher selten mit solchen Rollenkonflikten hadern sieht, es sei denn, sie sindWitwer oder alleinerziehend und es handelt sich um eine Komödie.

Eine große Stärke des Films ist es, dass er auf dieDarstellung der Übergriffe Weinsteins komplett verzichtet. Der Fokus liegt auf den Aufklärerinnen,nicht auf dem Täter. Die Biografien und Berichte der betroffenen Frauen gebengenug Aufschluss über das, was er ihnen angetan hat. Die Rückblickszenen, indenen man Weinsteins junge Mitarbeiterinnen heulend und zitternd nach den Übergriffensieht, hätte der Film gar nicht gebraucht. Auch ohne diese Visualisierungen wäre anhandder zerstörten Lebensgeschichten der Frauen deutlich geworden, welche WuchtWeinsteins Taten und seine Drohungen danach hatten.

Obwohl man weiß, wie es ausgehen wird, bleibt der Film 129 Minuten lang bis zum Moment der Artikelveröffentlichung spannend. Am Endeist die Wahrheit also in die Welt gebracht. Zwei engagierte Journalistinnenhaben ein Stück Geschichte geschrieben, weil ihre Informantinnen mutig genug waren, öffentlich zu sprechen.

"She said" läuft ab 8. Dezember im Kino.

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